«Mutige Führungskräfte vor!»
Die sgaop schafft einen neuen Kanal, um auf die vielfältigen Aspekte der Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie aufmerksam zu machen. Im neu lancierten Blog äussern sich sgaop-Mitglieder zu einem selbstgewählten Thema. Das Format ermöglicht unterschiedliche Perspektiven auf aktuelle Fragestellungen. Es fördert die Diskussion innerhalb der sgaop und trägt sie gleichzeitig in die weitere Öffentlichkeit hinaus. Den Anfang macht Eva Fankhauser mit einem Beitrag zum Thema Führung.
Welche Expertise oder Erfahrung im Bereich der Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie bringst du mit? Möchtest du einen Blogbeitrag schreiben? Dann melde dich bei: info@sgaop.ch. In letzter Zeit kommen mir immer wieder neue Regelungen zu Ohren, die Führungskräfte für ein gesamtes Team erlassen. In zwei Fällen geht es um die drastische Kürzung der Homeoffice-Tage. Grund dafür sind in beiden Fällen einzelne Personen im Team, die nicht die erwartete Arbeitsleistung und/oder nicht das erwünschte Arbeitsverhalten an den Tag legen. Die Massnahme der Führungskräfte: Das ganze Team soll wieder zurück ins Büro: Die Arbeit im Büro mag Vorteile haben (z. B mehr soziale Kontakte), ich glaube jedoch nicht daran, dass die Arbeitsleistungen vor Ort besser sind als im Homeoffice. Aber mir geht es hier gar nicht um die Produktivität im Homeoffice, sondern um das Führungsverhalten.
Ein anderes Beispiel: Ein Mitarbeiter mit Kundenkontakt erscheint regelmässig sehr ungepflegt bei der Arbeit. Die anderen Mitarbeitenden haben dies schon lange bemerkt und machen ab und zu hinter vorgehaltener Hand oder offen entsprechende Bemerkungen. Der Mitarbeiter bezieht die Rückmeldungen entweder nicht auf sich oder ist davon unbeeindruckt. Auf jeden Fall erscheint er jeden Tag gleichermassen ungepflegt zur Arbeit. Die Führungskraft ist sich des Problems bewusst, schätzt aber den Mitarbeiter sehr und möchte ihn nicht vor den Kopf stossen. Was geschieht: Die Führungskraft initiiert die Entwicklung einer verbindlichen Kleiderordnung für alle Mitarbeitenden, die auch das allgemeine Erscheinungsbild anspricht (gepflegtes Erscheinen). Das Team empfindet die neue Kleiderordnung als Überregulierung, da die meisten Mitarbeitenden ja stets gepflegt und angemessen angezogen zur Arbeit erscheinen.
Das gemeinsame an diesen realen Beispielen: Eine Führungskraft versteckt sich hinter einer Massnahme fürs ganze Team, damit sie eine einzelne Person nicht direkt auf einen Kritikpunkt ansprechen muss. Klingt objektiv gesehen umständlich und wenig zielführend, aber die Führungskräfte haben wohl ihre ganz eigenen Gründe.
Ich kenne beispielsweise mehrere Führungskräfte, die ein hoch ausgeprägtes Harmoniebedürfnis haben. Sie gehen Konflikten möglichst aus dem Weg und passen sich stark ihrem Gegenüber an, damit möglichst alle zufrieden sind. Nur keine zu extremen Aussagen, alles möglichst glatt formuliert. Dieses Anpassen und Verbiegen kostet eine Führungskraft viel Energie und endet oft in der ernüchternden Erkenntnis, dass schlussendlich doch immer jemand da ist, der anderer Meinung ist. Fragt man die Mitarbeitenden, fällt das Urteil über die Führungskraft beispielsweise so aus: «Er ist ein lieber Kerl, ich verstehe mich sehr gut mit ihm. Allerdings könnte er in der Kommunikation klarer sein. Es kommt immer wieder zu Missverständnissen aufgrund unklarer Aussagen.» Diese unklare oder unterlassene Kommunikation führt in einem Team dazu, dass nicht alle vom Gleichen ausgehen. Es erhalten nicht alle die gleichen Informationen, was zu Unsicherheiten und einer Missstimmung führen kann. Die Konsequenzen von unterlassenem direktem Feedback sind meistens subtil und zeigen sich beispielsweise in Mitarbeitendenbefragungen oder bei der Bearbeitung von eskalierenden Konflikten, die nicht in einem frühen Stadium angesprochen wurden. Das Führungsverhalten wirkt sich aber oft direkt auf die Stimmung und die Motivation des Teams aus.
Weshalb eine Führungskraft Kritikpunkte nicht anspricht, kann natürlich auch andere Gründe haben. Führungskräfte melden oft zurück, dass es ihnen viel einfacher falle, eine negative Rückmeldung zu einer Arbeitsleistung zu geben, als wenn sie einen Kritikpunkt in Bezug auf das Arbeitsverhalten, das Erscheinungsbild oder ähnliches geben müssten. Da werde es sofort sehr persönlich und möglicherweise gar emotional. Als ich Führungskräfte einmal fragte, was für sie das Schlimmste sei, das in einem Mitarbeitendengespräch passieren könne, nannten mehrere eine emotionale Reaktion des Gegenübers (insbesondere Weinen). Da mag es manchen einfacher erscheinen, über etwas hinwegzuschauen, als plötzlich einer weinenden Person im Arbeitskontext gegenüberzusitzen. Das finde ich wiederum bedenklich und traurig.
Ja, es braucht Mut, jemanden auf Punkte wie das Erscheinungsbild anzusprechen, aber es lohnt sich. Nicht nur für die Teamstimmung, sondern auch als Zeichen, dass ich als Führungskraft aufmerksam und interessiert bin. Ein ungepflegtes Erscheinungsbild oder ein irritierendes Arbeitsverhalten können auch Zeichen dafür sein, dass es einem Teammitglied nicht gut geht und es dringend Hilfe benötigt. Wenn ich solche Punkte nicht anspreche, verpasse ich möglicherweise eine wichtige Chance.
Ja, Führungsarbeit ist herausfordernd und oft mit unterschiedlichen Anforderungen auf verschiedenen Ebenen verbunden. Führungskräfte sind wichtige Schlüsselpersonen, die einen grossen Einfluss auf das Wohlergehen der Mitarbeitenden, auf die Teamatmosphäre, die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden etc. haben. Deshalb wünsche ich mir Führungskräfte, die aufmerksam sind, auch Unangenehmes beim Namen nennen und Verantwortung übernehmen. Für eine menschliche Arbeitswelt.
Zur Autorin: Eva Fankhauser ist Geschäftspartnerin der BäRa Dienstleistungen GmbH. Als Arbeits- und Organisationspsychologin mit fundierter Ausbildung begleitet sie Menschen in herausfordernden Situationen, beispielsweise junge Führungskräfte bei der Übernahme ihrer neuen Rolle. Sie möchte damit dazu beitragen, dass mehr Menschen zufrieden mit ihrer Arbeitssituation sind, sich gesund und leistungsfähig fühlen.